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Saudi Arabien

Auf den Spuren Mohammeds.

Mekka. Medina. Jeddah. Welch klingende Namen – aus einer uns fremden Welt. Wo Propheten, Stammesführer und Seefahrende ein- und ausgehen. Wo sich Erkenntnisse in wichtigen Büchern niederschreiben und Muslime in weissen Gewändern niederwerfen.

Würkli nöd. Keine Anspielungen zum Titel. Impressionen vom Jeddah Aquarium.

Es ist schon einige Jahre her..

Da ein kleiner Junge das Licht der Welt erblickt. Nennen wir ihn Mohammed. Sein Vater ist noch vor seiner Geburt gestorben, die Mutter mit den Herausforderungen des Lebens beschäftigt - die offenen Arme der Amme, Grosseltern und Verwandten aber helfen ihm durch seine Jugendjahre, welche er als Schafhirte und Reisender verbringt.

Erst die Heirat einer reichen Witwe lassen ihn das Leben etwas relaxter und umsichtiger angehen. Mit 40 scheint er sich genügend umgesehen und will Besuch und Worte eines geflügelten Herren empfangen haben. Die Geburtsstunde des Islam. Fortan verfasst er wichtige Erkenntnisse in der dritten Person und lässt sie in einem Buch niederschreiben.

Zugegeben, eine etwas sehr nüchternes und säkulares Kurzportrait eines Mannes, welcher bis heute Milliarden von Menschen zu begeistern vermag. Unsere muslimischen Freunde mögen uns verzeihen.

 

Ein wahrlich spannendes Land.

Seit Wochen nun schon bewegen wir uns durch dessen Geburtsland. Erfreuen uns ob wunderschön gesungenen Lobeshymnen, weche aus den nahen Minaretten erklingen – und stören uns ab den fünfmaltäglichen Ladenschliessungen während den Gebetszeiten. Verstehen, wie die Verhüllung der Frau (und übrigens auch des Mannes, allerdings ohne Gesicht) in der Kultur verankert ist und erkennen mögliche Beweggründe – und sind verstört darüber, dass die Frau im öffentlichen Leben schlichtweg nicht präsent ist. Wir staunen ob der Pracht der Paläste, Moscheen und Kult(ur)stätten – und sind befremdet, in einem rohstoffreichen, sehr religiösen Land eine solche Armut in der einfachen lokalen Bevölkerung und den nahezu rechtlosen Gastarbeiter erkennen zu müssen. Gedanken, welche sich vermutlich alle westlichen Touristen machen.

Und trotzdem ist für uns klar: Kein Land vermag uns aktuell zu begeistern wie Saudi Arabien!

Eine letzte Waschung. Und wir sind ready für die heiligen Städte.

Während sein christlicher Vorgänger den Fehler macht, dass sein Buch zu späterer Zeit um weitere Kapitel und damit Erkenntnisse erweitert wird, weiss Mohammed dies effektiv zu verhindern: Er nennt es schlicht das alleinige und finale Buch der Weisheit. Und damit dessen Inhalte auch präsent bleiben, werden täglich fünf Repetitionszeiten veranschlagt. Und damit diese nicht vergessen gehen, wird jeweils ein paar Minuten davor lautstark zur Einkehr gerufen. Flächen- und Frequenzbandabdeckend, versteht sich. Und weil ihm seine beiden liebsten Städte heilig erscheinen, betreibt er mit seinem Pilgergebot visionäres und bis heute unübertroffenes Standortmarketing.

Die Blackbox. Oder: Die Magie Mekkas 🕋

Die Stadt (und übrigens auch sämtliche Moscheen im Lande) sind nur Muslimen zugänglich – schliesslich sollen sie “rein” gehalten werden. Der 7-jährige Noam kann dies nicht verstehen: “Das wäre ja, als ob Muslime nicht in Kirchen, in den Vatikan dürften!?“ Und wir können ihn verstehen. Sind wir doch in einer offenen und vermittelnden Gesellschaft aufgewachsen. Doch wir wollen den Wunsch Mohammeds respektieren und beschliessen Mekka auf unserem Weg nach Jeddah brav zu umfahren. Dazu gibt es eine Non-Muslim-Autobahn, welche keinen Blick auf das Heiligtum (Haram) erlaubt.

Doch wir nähern uns der Stadt von einer nicht-touristischen Seite (Süden) und erkennen ihn: den 600 Meter hohen Leuchtturm des Islam aka den Clocktower. Er steht direkt neben der Kaaba und seine Anziehungskraft bzw. deren Nähe lässt unsere Vorsätze ins Wanken geraten.

Der Mikro-Hadsch.

Zehn Minuten später, mit etwas höherem Puls und schweissglänzender Stirn, umkreisen wir die Kaaba. Mit gebührendem Abstand und im Auto, versteht sich. Doch der Magie des Moments und heiligen Ortes tut dies keinen Abbruch. Wir sind beeindruckt ob der schieren Grösse der Moschee, welche wir anhand der weitverteilten Minarette erahnen können. Aber auch ob der kommerziellen Einbettung des Heiligtums in Form von Hotels und anderen himmelwärts strebenden Bauten.

Da unsere nichtexistente Tarnung (scho, unser wild bemalter Trailer mit Schweizer Kennzeichen, darin unverhüllte, an der Fensterscheibe klebende Gesichter mit weit geöffnetem Munde, sind nicht gerade ein starker Hinweis auf eine muslimische Glaubenszugehörigkeit) jederzeit auffliegen könnte und wir keine Strafe riskieren wollen (welche in unserer Vorstellung von einer freundlichen Wegweisung über lebenslangen Landesverweis bis hin zum Lynchmob reicht), belassen wir es bei einer Runde aus sicherer Distanz. Können jedoch nun aufrichtig nachvollziehen, welche Begeisterung der Besuch dieser heiligen und schönen, in Hügel eingebetteten Stadt bei einem Muslim auslösen kann.

Eine Runde wagen wir.

Mohammed hat genug davon. Wie seine Zeitgenossen miteinander umgehen, von den vielen Göttern, die sie anbeten und wie sie sich gegenseitig übervorteilen und bekämpfen. Er will zurück zu den abrahamschen Wurzeln und eine ursprüngliche Auslegung der Schriften und Worte der weisen Männer. Seine dritte Person diktiert ihm strenge Regeln und zeitgemässe Strafen für deren Nichtbeachtung.

Seine Frau wird seine erste Followerin. Dann geht‘s rasch bergauf - in der heutigen Zeit wäre Mohammed mit Likes und Notifiations nur so überrannt worden. Innert weniger Jahre kann er in seiner Geburtsstadt Mekka eine treue Gefolgschaft hinter sich vereinen.

Back to Life. Wenigstens ein bisschen.

Keine Stunde später erreichen wir Jeddah. Die Hafenstadt, welche in Saudi Arabien das Gegenteil Mekkas verkörpert. Ein lebensfrohes, geschäftiges, kulturelles Mischmasch. Die Handelsstadt bringt See- und Landwege zusammen und muss daher seit jeher mit fremden Einflüssen umgehen können. Auch hier werden die Gebetszeiten eingehalten, allerdings nur vordergründig: So werden die Rollos beim Eingang zum Restaurant nach einem Anklopfen hochgezogen und uns wird Einlass gewährt. Man weiss sich hier zu helfen und findet wallendes Haar ebenso wie vernetzte Schleierträgerinnen.

Und wie in so vielen Saudischen Städten sind es auch hier die Arbeitsimmigranten aus Pakistan, Bangladesh, Afghanistan und Indien, welche die Stadt bauen bzw. am Leben erhalten. Die Saudis machen es sich lieber im öffentlichen Dienst bequem, geniessen die Kühle der Malls oder die Bise der Beachfront und empfangen ihre Gäste in schicken Restaurants und Hotels.

Mal schnell ein ganzes Viertel flach machen um Neues entstehen zu lassen? Das können neben den Chinesen auch die Saudis.

Jeddah raucht.

Wir allerdings werden mit einer dunklen Rauchsäule empfangen. Welche wir erst auf den zweiten Blick in Zusammenhang mit dem Raketen-Angriff der jemenitischen Huthi auf ein Saudisches Öllager bringen. PR-wirksam lodern die Flammen in unmittelbarer Nähe der Formel 1-Rennbahn, auf welchem einen Tag später der neu ins Leben (bzw. teuer erkaufte) Grand Prix von Saudi Arabien stattfinden wird. Die Welt nimmt‘s wahr, ändern tut‘s nichts. Schliesslich reisen ja auch wir durch das Land, welches einen barbarischen Angriffskrieg gegen den Jemen führt, jährlich hunderte Menschen wegen fadenscheiniger Verbrechen öffentlich mit dem Schwert enthaupten, unliebsame Journalisten nicht minder grausam zersägen lässt, und die Einwohner nichts als Untertanen des Königs sind und keinerlei verpflichtenden Mitspracherechte haben.

Neinei, kein Nebel. Das Öldepot in Jeddah brennt.

Mohammed lässt es anbrennen. Die Oberschicht Mekkas will seinen Worten nicht folgen. Und lässt Taten folgen. Er wird zur ungewünschten Person und findet nur noch dank dem beduinischen Gastrecht Obdach in der Stadt. Dann entscheidet er sich zur Flucht. Der heutige Insta-Mohammed hätte dazu den Zug genommen. Fährt dieser doch in unheilig hohem Tempo von Mekka via Jeddah nach Medina. Die Entwicklung des Projekts zur Optimierung der Pilgerströme verschlingt Milliarden und dauert Jahrzehnte. So lange kann Mohammed verständlicherweise nicht warten. Er wandert einsam abseits der ausgetretenen Pfade und haust entbehrungsreich in Höhlen.

Planstadt 1.0

Wir sind gespannt auf die moderne, eine Stunde nördlich von Jeddah gelegene, vor etwas mehr als zehn Jahren eröffnete Enklavenstadt KAEC, die King Abdullah Economic City. Was NEOM für den Kronprinzen Mohammed bin Salam (meist nur MBS genannt) ist KAEC für seinen Vorgänger König Abdullah: Ein Vorzeigeprojekt, welches die Vereinbarkeit von Kapitalismus, Technologie und Nachhaltigkeit aufzeigen und der komplexen saudischen Gesellschaft als Leuchtturm dienen soll. Abermals wurden Milliarden investiert, Kubikkilometer Grund bewegt. Mit dem Resultat, dass heute niemand mehr davon spricht. Verständlich. Abgesehen von der fantastischen Küste des roten Meeres (und ok, einem herrlichen Golfplatz) hat die Stadt kaum etwas zu bieten. Einer reichen Elite vorenthalten (mit strengen Kontrollen bei sämtlichen Zufahrtswegen), mit Planbauten (aka dutzend unbebauter Parzellen), bereits nach 10 Jahren baufälligen Appartementblöcken und fern jeglichen organischen Wachstums erscheint uns KAEC bereits dem Untergang geweiht.

Immerhin können wir die Infrastruktur (aka unser gemietetes Appartement mit wunderbarer Aussicht aufs Meer) für die Genesung von Jaron und Noam nutzen. Wohlgetimed machen sie beide hohes Fieber und wir wenig erholsame Nächte durch. Doch bei diesen Temperaturen (genau, aussen und auf dem Fiebermesser) sind wir froh nicht im ungekühlten Trailer hausen zu müssen.

Souverän (fern-)gesteuert. Wir werden schwach und versuchen uns mit arabischen Vergnügungen.

Medina empfängt Mohammed wohlgesinnt. Und von dieser Stadt aus wird er die Welt erobern. Nicht immer siegreich, doch am Ende erfolgreich. Mekka wird nach seinem Einzug muslimisch und die Kaaba 🕋 neu interpretiert - war sie doch schon zuvor ein Heiligtum. Auch sonst lässt Mohammed Riten und Regeln einfliessen, welchen er im Christentum, in seinem Beduinenstamm, bei den Juden begegnet. Menschlich, finden wir.

Die 0,0 Promille-Analyse.

Generell: je länger wir uns in dieser Region aufhalten, uns informieren und kombinieren, kriegen wir eine Ahnung davon, wie eine Religion entstehen kann und welche Rolle der scheinbar prophetische Mensch darin spielt. Wie weltlich am Ende die Bedürfnisse und Vorkommnisse auch dieser Menschen sind. Und wie Väterchen Zufall – andere würden sagen Gott – seine Finger da im Spiel hat. Ein Schelm, wer behauptet, dass es heute wie damals unzählige Abrahams, Jesus und Mohammed gibt, und auch hier Darwins Leitidee des „Survival of the Fittest“ gilt. Und nur der Eloquenteste, Glücklichste und Smarteste mit seinen Ideen und Handlungen erfolgreich zu überzeugen und bestehen vermag.

Ich geb’s zu: Ich bin ein Schelm.

Ramadina.

Wir bewegen uns von 0 auf 600 M.ü.M und erblicken nach einer kurvenreichen Fahrt durch unzählige Hügel die zweitheiligste Stadt des Islam: Medina (Al-Madina). Dort erwartet uns nicht nur eine schöne in einen sanften Talkessel eingebettete Stadt sondern auch Larisas Mutter. Sie hat sich entschieden uns – und wohl vor allem die Enkelkinder – zu besuchen. Wir freuen uns, dass sie unserer Empfehlung nach Saudi Arabien zu reisen gefolgt ist – allen Unkenrufen zum Trotz. Und so wird sie um 3 Uhr in der Früh von Larisa und Noam am Flughafen abgeholt. Sie staunt nicht schlecht, ob des Trubels in der Stadt um diese späte Uhrzeit. Hat doch eben der Fastenmonat Ramadan begonnen und sich das öffentliche Leben auf die Zeiten zwischen Sonnenuntergang und -aufgang verlagert.

Die Prophetenmoschee in Medina bietet genügend Platz für Mohammeds Grab. Und 600'000 Betende.

Der Ramadan bestimmt auch unser Ernährungsangebot: In Saudi Arabien wird er strikte ausgelegt, somit sind alle Restaurants und Cafes tagsüber geschlossen – auch in den Hotels. Wir kochen selbst und führen uns die tägliche Dosis Koffein in Form von Coca Cola zu. Die Saudis hingegen holen nach Sonnenuntergang nach, was ihnen tagsüber vorenthalten wird – und zwar in solchen Massen, dass die Nahrungsmittelimporte während des Ramadan auffällig überdurchschnittlich sind.

"Hey, das war aber nicht die Idee." murmelt Mohammed.

Wir haben einmal mehr Verständnis. Für beide Seiten.