Rub al-Khali
Ein Sehnsuchts-Ort. Unwirtlich, nein: lebensfeindlich, scheinbar unendlich, gleichzeitig unfassbar schön: Das leere Viertel. Wahrlich, der arabische Begriff für die grösste Sandwüste der Welt trifft’s.
Ich kann sie hören: Meine Schwiegereltern, meinen Vater, die mahnenden Worte. Ich kann sie sehen: Die Gerippe der Kamele, die verrosteten Autos, die giftigen Tiere der Wüste. Doch nun stehen wir am Eingangstor zur Rub al-Khali (engl. Empty Quarter) und müssen uns entscheiden: Nehmen wir den bestens ausgebauten Highway durch die Zivilisation (via Abu Dhabi) oder die neue Wüsten-Strasse, welche uns direkt nach Saudi Arabien führt?
Die erst im Dezember 2021 eröffnete Wüstenstrasse verlockt. Gut 750 km der insgesamt 1’300 km nach Riad führen durch die berühmt-berüchtigte Rub al-Khali. Sie ist bis heute kaum erforscht – als eine der letzten Regionen dieser Welt. Zu gross (15x die Schweiz), zu heiss (bis zu 60°) und zu trocken (ca. 4-10cm/Jahr) ist sie, als dass man sie – auch mit heutigen technischen Mitteln – erforschen und „besiegen“ könnte. Nicht einmal die Beduinen queren sie, geschweige denn bewohnen sie. Einzig entlang der Ausläufer haben sich Öl-Firmen eingenistet, welche mit grossem Aufwand auf wenigen Quadratmetern versuchen des Öls und damit zwangsläufig auch des Sandes habhaft zu werden.
Wir sind vernünftig und entscheiden uns für: ein ausgedehnte Recherche. Und sie beginnt nicht gut. Im Oman werden wir von einem Saudi angesprochen. Zufälligerweise ist er diese Strasse gefahren. Und er winkt ab: Zu lang, zu schmal, zu gefährlich, keine Tankstellen. Larisa atmet auf. Dagegen werden keine Argumente ankommen, die sichere Abu Dhabi-Route ist gebucht. Ich finde mich damit ab. Scho au chli Familienvater, eben.
Unsere Tage in der „Anfänger-Wüste“ Wahiba und in den Zucker-Dünen bringen die Route dann aber doch nochmals aufs Tapet. Schliesslich könnten wir uns auch einen zusätzlichen Grenzübertritt (Oman > UAE > Saudi Arabien) ersparen. Zumal die Grenzübertritte hierzulande nicht mit Konstanz-Kreuzlingen vergleichbar sind. Ausserdem fühlen wir uns im Umgang mit Sand und Abgeschiedenheit bereits etwas besser vertraut. Eine professionelle Google-Maps-Satelliten-Bilder-Analyse (wie breit ist die Strasse?) sowie Tankstellen-Recherche (das soll eine Tankstelle sein?) dann bringt die Entscheidung: Wir nehmen die Rub al-Khali-Road. Unsere Reichweite mit vollem Tank lässt den Ausfall einer Tankstelle zu und die Strassen haben einen grosszügigen Pannenstreifen bevor der tiefe Sand droht.
In Ibri treffen wir Roland, der mit seinem Motorrad die gleiche Route fahren will. Wir geloben uns während der Durchfahrt in Kontakt zu bleiben – was kann denn nun noch schief gehen?
Bereits die Fahrt bis zur Grenze Oman – Saudi Arabien ist abenteuerlich. Die letzte Tankstelle beinahe 100 Kilometer vor der Grenze. Die Siedlungen verlieren sich, bis sie ganz verschwinden. Dafür gibt’s immer mehr Sand-Verwehungen auf der Piste – diesen gilt es auszuweichen bzw. langsam zu überfahren. Und praktisch nur noch Lastwagen, welche uns kreuzen. Was dank Tempo, Wucht und Sandgestöber (gibt’s, das Wort?) auch unser Gefährt jedes Mal bedrohlich ins Wanken bringt.
Dann, aus dem Nichts, einer Fata-Morgana gleich: Die riesigen Gebäude und Kasernen der Grenzübergänge. Inkl. Niemandsland, versteht sich. Auf der Oman-Seite dezent hübsch, bei den Saudis etwas ärmlicher, dafür mit Schützenpanzer. Wir passieren beide Grenzen ohne Probleme, auch wenn es am Ende doch zwei Stunden dauert. Der Empfang in Saudi Arabien ist durchwegs sympathisch.
Nach einer einfachen (im Vergleich zu den folgenden allerdings beinahe adretten) Tankstelle wieder: nichts. Dafür fortan wunderschönes Nichts. Es scheint als ob der Grenzverlauf zum Oman entlang der grossen, roten Sanddünen der Rub al-Khali gezogen wurde. Dutzende, später gar hunderte Meter hoch türmen sich die Sandhaufen entlang der sich tapfer durch die Wüste kämpfenden Strasse. Sie ziehen uns in den Bann, ihre Formen und Muster sind von unersättlicher Schönheit.
Nun haben wir 550 km Zeit diese zu geniessen, dann erst kommt der Abzweiger zum zweiten Teilstück (nochmals 550 km) nach Riyadh. Derweil: Kein Dorf (abgesehen von einer Öl-Förder-Baracken-Siedlung), keine kreuzende Fernstrassen, nahezu kein Verkehr. Dafür: Alle paar Dutzend Kilometer parkierte (oder auch aktive) Bagger (zum Abtragen der Verwehungen), Tempoblitzer (wir vermuten eher: digitale Checkpoints, da anscheinend auch Schmuggler unterwegs sein sollen) und Rastplätze (also Parkplätze, sonst nichts, nicht einmal eine einfache Überdachung als Sonnenschutz).
Die erste Nacht verbringen wir nur wenige Meter abseits der Strasse. Und prompt hält ein Pickup mit Gewehrhalterung. Zum Glück auch mit Emblem des Saudischen Grenzschutzes. Scheibe runter, freundliche Gesichter: „You sleep here?“. Scho, gerne, geht das? Die beiden Militärs schauen sich an, einer schüttelt bereits den Kopf. Da trottet Jaron ums Eck. „Oh, you family? Then no problem. I’ll tell my boss – you’ll be safe.“ Und so schliefen wir wunderbar unbesorgt.
Der nächste Tag führt uns aus dem Herzen der Rub al-Khali mit ihren hohen, roten Dünen heraus. Die Dünen flachen aus. Bleichen aus. Nicht minder reizvoll, so können unsere Blicke auch in die Ferne schweifen. Könnte. Denn bald schon sind wir umgeben von Nebel. Generell überrascht uns die Wüste immer wieder. Da wachsen kleine grüne Büsche, zuweilen beinahe Bäumchen aus dem trockenen Sand. Und oft – nicht wie zu erwarten nur in den Dünensohlen – auch hoch auf den Dünen. Immer wieder entdecken wir Spuren von grösseren Tieren, vermutlich Füchsen. Nur Kamele gibt’s hier nicht. Ist gar diesen wüstenoptimierten Lebewesen zu weitläufig. Und dann, selten, aber hey, mitten in diesem riesigen Sandkasten, kleine Tümpel von Grünzeug umwachsen. Beinahe hätten wir uns auf einen Schwumm eingelassen ;).
Wir würden es wohl noch knapp zur übernächsten Tankstelle schaffen, doch wir wollen nichts riskieren. Die Tankstelle hat ihre besten Zeiten vor Jahrzehnten gehabt. In Europa würde sie nicht mal mehr für Altmetall dienen können. Zwar ist sie an die Strasse angeschlossen, nur leider an die falsche. Diese, welche förmlich versandet und einige Dutzend Meter neben der neuen Strasse liegt. So gilt es eine für uns (mit Anhänger) nicht unkritische Sandpassage zu meistern – beinahe wieder wären die Sandbleche zum Einsatz gekommen. (Wir verschweigen nun besser, dass diese einige Kilometer weiter dann doch noch zum Einsatz kamen – bei der Suche nach einem geeignetem Mittagsrastplatz 🙈). Doch das Risiko lohnt sich: Wir kommen kaum aus dem Staunen. Da fliesst Diesel und Süssgetränk. Der kleine Shop hat alles, was man zur Pflege und Verpflegung benötigt. Nur die Umgebung und Aufmachung ist wahrlich… trostlos.
Bald geht’s zügiger. Nach weiteren 100 km erreichen wir den Highway Abu Dhabi – Riyadh und freuen uns schon fast wieder über das Minimalmass an Zivilisation. In Form von 1 Auto/Minute sowie richtungsgetrennten Fahrbahnen. Also doch, die Wüste macht einen bescheiden.
Doch was wäre eine Wüstenquerung ohne Sandsturm? Na also. Am nächsten Abend dürfen wir auch diese Erfahrung machen. Wie der Sand die Zähne knirschen lässt. Das Chicken aus dem Campinggrill noch etwas crispier ist. Und Larisa, Noam und Jaron den ganzen Abend im Trailer verbringen – und ich den Aussenposten (aka Küchenchef, Butler, Techniker, Zimmerservice) zugeteilt kriege.
Trotzdem. Wir würden es wieder tun. Die Route hinterlässt genau diese Eindrücke, welche uns zu einer solchen Reise animieren. Wenn du also bald mal vor dieser Entscheidung stehen solltest: Tu’s.
(Übrigens glaub generell ein guter Tipp: Tu’s 😉).