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Israel

Kei Brot.

Ein heisses Eisen. Ich habe weder jüdische noch muslimische Wurzeln, bin atheistisch veranlagt. Habe weder Geschichte noch Religionswissenschaften studiert. Und trotzdem erlaube ich mir nach dem Besuch der Region meine Gedanken zum Thema nieder zu schreiben. Zu diesem einen Thema, welches die Medien seit Jahrzehnten zuverlässig beschäftigt: Dem Israel-Palästina-Konflikt.

Prolog.

In einem jüdischen Quartier in Zürich (Enge) aufgewachsen, medial beeinflusst und kulturell kosmopolitan, mit vermeindlichem Gerechigtkeitssinn – wir sind sehr gespannt, wie wir unsere Reise durch Israel aufnehmen. Und mit welcher Sicht auf die politische Lage wir abreisen werden. Wir haben uns viele Artikel und Interviews zu Gemüte geführt, vor, während und nach unserem Aufenthalt. Versucht, die verschiedenen Aspekte und Meinungen zu verstehen. Natürlich auch im direkten Gespräch.

Neidlos und mit grosser Bewunderung halten wir fest: Was der Staat Israel in diesen wenigen Jahren aufgebaut hat ist äusserst beeindruckend. Kein von uns bereistes Land auf der arabischen Halbinsel ist auch nur ansatzweise derart fortschrittlich und organisiert. In 70 Jahren wurde ein demokratisches, rechtsstaatliches, unabhängiges, hochentwickeltes Land geschaffen – wo vorher Sumpf, Blutfehden und die Erinnerung an vergangene Reiche vorherrschten. Das kann weder Öl bzw. Geld allein (UAE, Saudi Arabien), noch ein wohlgesinnter Herrscher (Oman, Jordanien) – dazu braucht es weit mehr. Der Zusammenhalt und die Verankerung der jüdischen Gesellschaft, die Motivation und der Wille das Land weiter, vorwärts zu bringen und viele andere hervorragende Eigenschaften erst machen ein solches moderenes Wunder möglich.

Mit unserer westlichen Brille wünschten wir uns: Mehr davon. Säkulare Demokratien. Rechtsstaatlichkeit. Gleichberechtigung. Nachhaltigkeit. Auch im Nahen Osten. Aber so einfach ist es wohl nicht.

Vor 1000 Jahren rief der Papst “Gott will es!” und die Christen mordeten sich durch das Morgenland um Jerusalem in deren Gewalt zu bringen. Vor weniger als 200 Jahren lagen sich in der Schweiz Katholiken und Protestanten in den Haaren bzw. auf dem Schlachtfeld gegenüber. Und die Frauen dürfen in der Schweiz erst seit knapp 50 Jahren abstimmen. Wie einst unsere westlichen Gesellschaften steht die arabische Gesellschaft da, wo sich aktuell die Religion, das gesellschaftliche Gefüge und Struktur, sowie das politische System zu einem Ganzen vereinen.

Öl, Waffen und Sanktionen mögen gewisse Parameter verändern (oder auch festigen), doch was wir gerne vergessen oder ausblenden: Jede Gesellschaft hat ihre Realität und Berechtigung. Und grosse gesellschaftliche Veränderungen kommen von innen und müssen von einer Mehrheit getragen werden. So können wir uns lange eine Trennung von Staat und Religion, homosexuelle Gleichberechtigung etc wünschen. Wenn die Bevölkerung in einem ganz anderen Wertesystem und Gefüge lebt, ist ein solcher Wechsel weder machbar noch sinnvoll (was jedoch keineswegs ausschliesst, dass wir in unserem Einflussraum unsere Werte und Errungenschaften durchsetzen und verteidigen).

Wo Raum für Kunst, da Wille zur Reflexion. Mural in Jerusalem.

Machen wir es kurz.

Meine These: Israel gibt es nun seit rund 70 Jahren. In weiteren 30 Jahren wird der Staat Israel das heutige Staatsgebiet, das Westjordanland und damit auch gesamt Jerusalem umfassen. Einzig die Golanhöhen könnten im Zuge einer Befriedung abgetreten werden. Wieso?

1. Die Verankerung in der Religion

Der Staat Israel ist ein Land für die Juden. Auch wenn die Verfassung Religionsfreiheit garantiert und andere Religionen und Völker toleriert, liefert das Judentum den ideologischen Unterbau für den Staat. Die 12 Stämme Israels werden im Land Eretz Israel leben und erlöst – so steht es in der Tora. Und dieses Grossisrael umfasst – im mehrheitlichen Konsens – das Land zwischen Mittelmeer und Jordan. Israel ist also nicht nur ein Land, ein Zufluchtsort für die Juden sondern eine wichtige Voraussetzung für die religiöse Erfüllung.

Die israelische Gesellschaft ist sehr vielfältig und heterogen, ein Grossteil bezeichnet sich als nicht religiös und man findet sämtliche Standpunkte und Argumente, welche in lebhaften innerisraelischen Diskussionen vorgetragen werden. Die Regierung ist ein Abbild davon. Und trotzdem setzen sich realpolitisch eher die rechten bzw. religiösen Ansichten durch. Sei es auch nur, dass entsprechende Massnahmen wie Baubewilligungen, vorteilhafte Grenzziehungen, neue Siedlungsgebiete in rechts-dominierten Phasen gesprochen – und in anschliessenden moderaten Phasen nicht konsequent zurückgenommen werden.

Dieser Effekt sowie die religiös verankerten Gebietsansprüche der einflussreichen religiöse Elite (mit Ausnahme gewisser ultraorthodoxer Kreise, welche gar den Staat Israel ablehnen) werden meines Erachtens zwangsläufig zu einer Ausdehnung des Staatsgebiets bis zum Jordan (also inkl. Westbank) führen.

2. Die Einheit.

Die jüdischen Israeli kämpfen zurecht um und für ihr Land. Und sie sind umgeben von feindlich gesinnten Ländern bzw. Gruppierungen, die Bedrohung ist nicht nur real sondern auch allgegenwärtig. Das eint und stärkt. Was sie in den vergangenen 70 (oder auch 3000) Jahren aufgebaut und erreicht haben ist in Gefahr. So verwundert es nicht, dass in Israel sowohl Männer als auch Frau den obligatorischen Militärdienst leisten – und zwar 3 bzw. 2 Jahre. Das bringt nicht nur eine markante Verbesserung der Wehrfähigkeit mit sich, sondern auch eine (Ver)einigung der Bevölkerung. In diesen Jahren wird Gemeinsames gelernt, eingeschworen und geeint. Wir kennen es aus der Schweiz: Wer den Militärdienst leistet (wenn auch nur einige Wochen wie in meinem Falle) hat die gleiche Schule, Erfahrungen und Strapazen durch gemacht. Dies eint und lässt im Ernstfalle zusammenrücken.

Als weiteres einendes Element dient die Religion. Einerseits die geografisch-religiöse Verankerung (siehe oben) anderseits die Glaubenszugehörigkeit an sich. Die religiösen Riten, Bräuche und Feierlichkeiten bringen die Menschen zusammen. Und in einer negativen Auslegung, die man auch aus dem Islam kennt (“die Ungläubigen”), ist es auch eine Behauptung der eigenen Religion gegenüber den Goim, also Andersgläubigen.

Diese beiden Parameter Religiosität und Patriotismus findet man in der Bevölkerung durchgängig – in der einen oder anderen Kombination. Sie lassen ideologisch und militärisch keine Zweifel oder Schwäche aufkommen.

3. Das Wissen.

Man merkt es alsbald man seinen Fuss auf israelischen Boden setzt: Dieses Land ist bestens organisiert. Kein Vergleich zu den arabischen Staaten. Hier werden die neusten Technologien eingesetzt, es wird vorausschauend geplant, Recht durchgesetzt und – entscheidend – die Bevölkerung befähigt. Das (inzwischen zwar etwas in die Jahre gekommene und zunehmend unpopuläre) Konzept des selbstorganisierten Kibbuz kann als gutes Beispiel dienen: Esgibt den Bewohnenden ein Mitspracherrecht und damit Verantwortung von der Pike auf mit. Wissen bzw. der kritische Umgang damit wird ebenfalls bereits in frühen Jahren vermittelt. Die Israelis sind in entscheidenden Bereichen (High-Tech, AI, Software, Waffensystemen etc.) führend. Organisationsstrukturen und Prozesse sind integrativ, werden laufend optimiert und sind meist State-of-the-Art.

Was mir erst beim Besuch Israels klar geworden ist: Während die Araber seit Jahrhunderten in dieser Region lebten und herrschten (und keinen starken Anreiz zur Veränderung hatten), brachten die Juden bei ihrem Herzug Wissen und Erfahrungen aus aller Welt mit. Dieses setzten sie bei der Gründung und dem Aufbau des Landes geschickt ein und konnten somit quasi auf der sumpfigen staubigen grünen Wiese und umfassendem Knowhow ein Land nach westlichem Vorbild schaffen. Dies ist ihnen hervorragend gelungen und wir bewundern dies mit grösstem Respekt.

4. Die Strategie.

Israel ist realpolitisch den umliegenden Ländern um Längen überlegen – und kann so relativ uneingeschränkt agieren. Israel kontrolliert zudem die wichtigen strategischen Positionen entlang seiner Grenze (Libanon, die Golanhöhen zu Syrien) und direkt oder indirekt die besetzten Gebiete. Alle Zuflüsse des Jordan und damit das riesige (und in dieser Gegend einmalige) Trinkwasserreservoir des Sees Genezareth werden seit der Annektion der Golanhöhen ebenfalls kontrolliert.

Das Kräfteverhältnis insbesondere bezüglich Palestina ist dermassen ungleich, dass dessen Interessen nur mit Nadelstichen wie vereinzelten, meist vereitelten Raketenangriffen, mit hilflosen und lokal sehr begrenzten Anschlägen, mit lauten aber wirkungslosen Protesten sichtbar gemacht werden können. Aufgrund der Zerstrittenheit innerhalb der palästinensischen Führung und nachlassender Solidarität in der arabischen Welt kann auch auf politischer Seite kaum nachhaltig Druck aufgebaut werden.

Israel hingegen hat ein starkes weltweites Netzwerk und kann grundsätzlich auf den Rück- bzw. Freihalt der USA zählen. Seit kurzem werden auch die Banden zu den benachbarten Golf-Staaten fester und  Reisehürden werden ab- und Geschäftsbeziehungen aufgebaut. Der Bösewicht Iran isoliert sich mit seinen Verbündeten Milizen zunehmends und hat ausser einer Drohkulisse dem Wirken Israels kaum etwas entgegenzusetzen.

Wer also kann die schrittweise Besiedelung, damit Verflechtung der Interessen, damit Einfluss, damit Kontrolle, folglich potenzielle Annektion der Westbank verhindern? Wohl auf absehbare Zeit niemand.

Man mag nun von beiden Seiten her argumentieren – wer welchen Anspruch hat, historisch, religiös, in Folge von etc. Aber blenden wir dies aus (weil: es spielt wohl letztlich keine Rolle) und halten fest: Die Westbank ist räumlich weitgehend fragmentiert und die Zahl der israelischen Siedlungen und Siedler nimmt laufend zu. Es ist meines Erachtens eine Illusion – welche aktuell allerdings aus diversen Interessen gerne noch am Leben erhalten wird – dass dies jemals ein eigenständiger, prosperierender arabischer Staat werden könnte.

Die Golanhöhen werden von Israel bereits nicht mehr als „besetzt“ angesehen, sondern – ebenso wie ganz Jerusalem (also inkl. arabischem Osten) bereits als Staatsgebiet betrachtet.  Und die paar komplett von israelischem Hoheitsgebiet (Land und Meer) umgebenen und nötigenfalls isolierbaren Quadratkilometer Gazastreifen fallen auch nicht mehr ins Gewicht.

Und schlussendlich, ich muss es bei aller Liebe und Anerkennung gegenüber den Israelis und ihrem Land sagen, lässt sich Israel auch nicht von einem Gremium wie der UNO oder anderen Konventionen und entsprechenden Be- und Verurteilungen irritieren. Manche nennen es Ignoranz, andere Arroganz. Faktisch mündet es in Irrelevanz.

5. Die Zeit.

Die Zeitrechnung gewisser religiöser Eiferer ist anders als die unsere. Wer seit tausenden von Jahren auf den Erlöser wartet kann auch ein paar Jahre und Jahrzehnte länger warten. Und nimmt in Kauf, dass seine Lebzeit auch schwierig und leidvoll sein kann.

Wie auch immer: Die Zeit wird denjenigen Recht geben, welche die Geschichtsschreibung beeinflussen können.

So verarbeitet ein Siebenjähriger die allgegenwärtige Präsenz des Militärs.

Das Outro.

Wieso sich so auf die Äste heraus lassen? Wieso zu einem Thema, bei welchem man sich eigentlich nur die Finger verbrennen kann?